Die verschiedenen Geschwisterreihen am Stifterhof von 1902 bis 1928
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts kaufte Peter Nothdurfter aus Prettau den Stifterhof. Wie Burgl Kirchler erzählt, sei er mit 7 Kindern, 100 Gulden und einer Mause (Kuh) von Prettau nach Weißenbach gekommen. Ein Bauer aus seinem Heimatdorf hätte ihm sogar das Saatgut für das erste Jahr versprochen, wenn er es wage, die Stift zu kaufen. Dieser Bauer sei dann auch mit Ross und Dreirad mit dem versprochenen Saatgut in Weißenbach aufgetaucht.
Anton Nothdurfter (Stift Tonige) *1863 in Prettau, Sohn des oben erwähnten Peter und der Maria Astner, heiratete 1901 in erster Ehe Maria Gasteiger vom Reicheggerhof, *1865, die Tochter des Thomas Gasteiger und der Anna Gruber. (Anna Gruber heiratete in 2. Ehe einen Oberegg-Sohn, daher der heutige Nachname Kirchler.) Aufgrund eines Herzleidens verstarb Maria bereits 1914. Aus dieser Ehe gingen 3 Kinder hervor:
Maria Nothdurfter *1902, + 1903 ; Anna Nothdurfter *1904, + 1904; Vinzenz Nothdurfter (Stift Zenz) *1906, der spätere Stifterbauer.
Dieser heiratete 1929 Anna Außerhofer vom Pichl. Aus dieser Verbindung entstand die Linie, die heute noch am Stifterhof ist (Jöusl, Todl, Hansl; heute: Kinder vom Jöüsl). Bis dahin gab es aber noch eine wechselvolle Familiengeschichte.
In zweiter Ehe heiratete Anton Nothdurfter nämlich zwei Jahre nach dem Tode seiner Frau mitten in den Wirren des 1. Weltkrieges Maria Großgasteiger vom Schiener, *1890, die Tochter von Peter Großgasteiger und der Maria Leiter vom Innerhof (man beachte den Altersunterschied der beiden!) Aus dieser Ehe entstammten wiederum drei Kinder: Maria Anna *1917 + 1927;
Johann (Stift Hansl)*1918, im 2. Weltkrieg vermisst, wahrscheinlich in Norddeutschland gefallen (auf Heimaturlaub während des Krieges wusste er nach eigenen Aussagen nicht so recht, wohin er heim gehen sollte, weil er sich weder an der Stift noch im Maurerhaus daheim fühlte);
Franz (Mesnhöf Franz) *1919, heiratete 1945 Maria Gruber vom Mösenhof und führte dort lange Zeit die Gastwirtschaft (+2004). In den Jahrzehnten nach dem Kriege hat er sich stark für die Entwicklung des Dorfes und die Vereinstätigkeit eingesetzt.
1920 starb Anton Nothdurfter, der 14-jährige Vinzenz war Vollwaise und noch nicht alt genug, den Hof zu übernehmen. Zu dieser Zeit waren am Stifterhof also vier Kinder im Alter von 14, 3, 2 und 1 Jahr ohne Vater zu versorgen – und das in der wirtschaftlich sehr instabilen Nachkriegszeit. Nach einem Jahr, also 1921, heiratete die Witwe Maria in 2. Ehe Alfons Feichter, der zum Zeitpunkt des Todes des Bauern an der Stift Knecht war. Er stammte vom Uhlhaus in Luttach und war der Sohn von Jakob Feichter und der Maria Brugger. Aus dieser Ehe gingen fünf Kinder hervor, die mit der 1. Geschwisterreihe (Zenz) nicht mehr verwandt waren:
Rosa Hedwig Feichter (Maurahaus Röüse) *1922 +2019; Aloisia Sophia Feichter *1924 +1925
Jakob Feichter (Maurahaus Jaggl) *1925; Maria Agnes Feichter *1927(Maurahaus Moidl, seit ihrer Jugend in London); Anna Feichter *1928, arbeitete nach dem Krieg lange in Deutschland und lebte dann bis zu ihrem Tode in Bruneck.
So lebten an der Stift mehrere „Geschwister“, die miteinander überhaupt nicht verwandt waren (1.+ 3. Reihe). Die Kinder ihrerseits fühlten sich aber als richtige Geschwister und pflegten auch bis zum Ableben geschwisterliche Beziehungen.
Im Geburtsjahr von Anna, am 30.08.1928, war in Weißenbach ein gewaltiges Unwetter, alle Brücken wurden weggerissen, auch die Stift-Brugge. Viele Männer hatten am Tristen- und Trattenbach zu wehren. Die Stifterbäurin wollte gemeinsam mit einer Magd der Wasserwehr etwas zum Essen bringen, rutschte aber beim Überqueren des Baches auf einem behelfsmäßig über den Bach gelegten nassen Baumstamm aus und fiel in das reißende Wasser. Auch wenn das Unglück sofort bemerkt wurde und laut Erzählungen ein Knecht beinahe noch den Arm erwischt hätte, gab es keine Rettung mehr. Tags darauf wurde die Verunglückte bei der Schöllberg Brücke gefunden. Man erzählt, sie hätte nur noch s´Piesnle vom Sonntagskleid am Leibe gehabt. Die Erschütterung im Dorf war groß und niemand traute sich so recht, dem Ehemann, der auf der Alm beim Vieh war, die Hiobsbotschaft zu übermitteln. Nun waren neben dem inzwischen großjährigen Zenz aus der ersten Kinderreihe noch sechs kleine Kinder im Alter zwischen 4 Monaten und 10 Jahren ohne Mutter: Franz und Hansl (10, 9 J.) aus der 2. Reihe und Rosa, Jakob, Maria und Anna (6, 3, 1 Jahre, 4 Monate) aus der 3. Reihe. Da die letzten nicht mehr aus einer Linie stammten, deren Eltern direkt mit dem Stifterhof zu tun hatten, zog Alfons Feichter mit seinen vier kleinen Kindern nach Luttach, wo er das Maurahaus kaufte. Zwei Kinder behielt er bei sich, zwei kamen zunächst in Pflegefamilien. Vor allem die älteste, Rosa, erzählte, sie hätte es nicht verstehen können, warum die Geschwister Hansl und Franz (Söhne des Tonign), mit denen sie immer gespielt habe, nicht mit nach Luttach gekommen seien. Auch Franz betonte, wie sehr ihn die Trennung schmerzte. Die Jüngeren hatten keine Erinnerung an das tragische Geschehen.
Auch wenn die folgende Geschwisterreihe mit dem Stifterhof nichts mehr zu tun hat, sei sie der Vollständigkeit halber kurz erwähnt: Alfons Feichter richtete sich in Luttach häuslich ein und heiratete 1932 Cäcilia Gaisler, *1900 vom Unterklammerhof. So hatten nun die vier Kinder (inzwischen 4 und 10 Jahre alt) wieder eine Mutter.
Aus dieser Verbindung ging dann die vierte Geschwisterreihe hervor, die nun natürlich weder mit der 1., noch mit der 2. verwandt ist (Maurahaus: Zenze *1933+1943, Alfons *1935+2003, Karl *1936 + 2004, Siegfried * 1938 +2020, Zille = Ordensschwester Judith *1939, Luise *1941).
Wenn man die oben- und untenstehenden Daten etwas genauer unter die Lupe nimmt, dann scheint es aus heutiger Sicht verwunderlich, wie schnell neue Partner gefunden wurden, die sich um die schon vorhandenen minderjährigen Kinder kümmerten, wie schnell Familien auseinandergerissen und neue Gemeinschaften gegründet wurden. Dazwischen waren Krankheiten, Unfälle, zwei Kriege, in denen die Väter kämpfen mussten… kaum vorzustellen, welche Verantwortung da die jeweils neuen Partner übernehmen mussten.
„Olls gong“, pflegten die Betroffenen im Nachhinein zu sagen.